Der Neunhofer Kirchturm weist eine Besonderheit auf, die ihn mit der Jakobuskirche in Schönberg verbindet, sonst aber von vielen benachbarten Kirchen deutlich unterscheidet: Sein spitzer Helm besitzt vier Fachwerkerker, die mittig auf jeder Seite angebracht sind. Sie sehen aus wie vier Häuschen mit Fachwerkgiebeln und Satteldächern und blicken in die vier Himmelsrichtungen. Der altertümliche Fachbegriff für solche Erkeraufbauten lautet „Wichhäuschen“. Ein Wichhaus war ursprünglich ein kleines Gebäude, das auf die Wehrmauer einer Burg oder Stadt aufgesetzt war.
Bekanntlich war auch die Neunhofer Kirche ursprünglich eine Befestigungsanlage, doch die Turmerker haben damit nichts zu tun. Sie entstanden aus dem Bedürfnis heraus, weithin sichtbar die Uhrzeit zu verkünden, denn die Turmuhr von St. Johannis war über Jahrhunderte hinweg die zentrale und maßgebende öffentliche Uhr des Ortes.
Zumeist befinden sich die Zifferblätter unter den Schallfenstern der Glockenstube, so kann man es z. B. in Beerbach sehen. Da der Neunhofer Turm aber ziemlich niedrig gebaut worden war, ergaben sich beim Ablesen der Uhrzeit aus weiterer Entfernung Schwierigkeiten, denn die Zifferblätter wurden von Haus- und Scheunendächern verdeckt. Somit erwies es sich als sinnvoll, die Uhr ein Stück höher über die Schallöffnung zu setzen.
Abbildungen aus dem 17. Jahrhundert zeigen bereits ein Zifferblatt, das an einem Wichhäuschen auf der Nordseite des Turmes angebracht war. Eine öffentliche Uhr auf dem Turm besaß Neunhof bereits in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts, ergänzt von zwei Sonnenuhren auf der Nord- und auf der Ostseite.
1903 musste der Turmhelm erneuert werden. Seit dem Dreißigjährigen Krieg hatte er immerhin gut 250 Jahre Wind, Wetter, Sturm und Blitzschlag standgehalten, doch nun zeigten sich an der Balkenkonstruktion deutliche Verschleißerscheinungen. Nach Entwürfen des Hersbrucker Bezirksbaumeisters Johann Baptist Füssl entstand ein neuer Helm. An der Ausführung waren die Eschenauer Baugeschäfte Endress und Schirl sowie die Neunhofer Schreinerei Wölfel beteiligt. Die bisherige Form der Turmspitze wurde beibehalten, allerdings leistete man sich nun vier Zifferblätter und benötigte dazu vier Wichhäuschen. Der Ort war ja längst gewachsen und auch aus anderen Richtungen wollte man bequem die Zeit ablesen können.
Einen besonderen Schmuck bildete zusätzlich auf jedem Uhrerker ein Aufsatz aus Kupfer mit einem vergoldeten Turmknopf. Dass wir diese „Kugeln“ heute vermissen müssen, ist auf die ab 1940 von Seiten des NS-Staates geforderte Metallabgabe für die Rüstungsindustrie zurückzuführen. Davon blieben überall – ähnlich wie im 1. Weltkrieg – auch Blitzableiter, Kupferbleche, Orgelpfeifen und Bronzeglocken nicht verschont. Auch ohne diese besondere „Dachzier“ bildet der Turm von St. Johannis mit seinen vier Wichhäuschen noch heute ein markantes Wahrzeichen dieses Ortes.
Ewald Glückert, Archivpfleger