Genau dieser Rollentausch ist es, den die christliche Kirche am Karfreitag bedenkt. Jesus war für die Menschen wie ein guter Hirte gewesen. Er hat ihnen davon erzählt, wo und wie sie zur Quelle des Lebens finden. Er hat sich um Menschen gekümmert, war bei ihnen in den dunklen Tälern des Lebens, hat sie geheilt, sie in die Gemeinschaft zurückgeführt, ihnen geholfen, böse Wege zu verlassen und die „rechte Straße“ zu finden. Er hat auch mit den Menschen das Leben gefeiert – denken wir nur an die Hochzeit zu Kana – und da galt durchaus: „Du schenkest mir voll ein.“ Es war ganz so, wie Psalm 23 es sagt.
Es passt also, wenn Jesus im Johannesevangelium sagt: „Ich bin der gute Hirte. Und ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich.“ (Joh. 10,14) Er ist der Hirte, der dem verlorenen Schaf in die Wüste folgt und sich riesig freut, wenn er es wieder findet. (Lukas 15,3-7)
Hinter diesem Hirten steht Gott selber. Er selber kommt in Jesus und sucht nach seinen verlorenen Schafen. Gott ist nach Auffassung des Alten Testamentes der wahre Hirte seines Volkes. Und er erwartet von den politischen und militärischen Führern seines Volkes, dass sie ihre Herrschaft als Hirtenamt verstehen. Dass sie sich also um die ihnen anvertrauten Menschen kümmern, sie schützen, ihnen Recht verschaffen, für sie sorgen.
Genau das hat Jesus im Lauf seines Erdenlebens getan. Aber gerade die Ausübung dieses Hirtenamtes brachte ihn ans Kreuz. Das sagt viel aus über die Welt und die Menschen, die diesen Hirtendienst Gottes gar nicht annehmen wollen, die der Liebe Gottes abweisend begegnen, die meinen, keinen Hirten nötig zu haben.
Wie soll man das begreifen, dass der, der nur Gutes tat, als Verbrecher umgebracht wurde und der Verbrecher freigelassen wurde?
Die ersten Christen erinnerten sich da an die Worte des Propheten Jesaja über den Gottesknecht (Jesaja 52 und 53). Da heißt es unter anderem:
„Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Um unserer Missetat willen ist er verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten und durch seine Wunden sind wir geheilt. … Der Herr warf unser aller Sünde auf ihn. Als er gemartert wurde, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das vor seinem Scherer verstummt, tat er seinen Mund nicht auf.“
Der gute Hirte lässt sich zum Schlachtschaf machen. „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“ sagt Jesus (Johannes 10,11)
In diesem „für die Schafe“, in diesem „für uns“ sah Luther die Urgestalt des Evangeliums. Beim Rollentausch von Hirte und Schlachtschaf spricht er von einem „fröhlichen Wechsel“. Fröhlich für uns, denn dieses Lamm trägt die Strafe, die eigentlich wir verdient hätten. Und es gibt einfach Dinge im Leben, die wir selbst nicht wiedergutmachen können, die nur Gott selber zurechtbringen kann. Das zu bedenken, ist die nicht eben einfache Aufgabe am Karfreitag.
Diese biblische Anschauung und Logik geht uns Heutigen vielleicht nur schwer ein: dass Jesus stellvertretend für uns alle gelitten hat, dass er ein für alle Mal die Folgen des Unheils, des Bösen auf sich genommen hat, welches wir mit unserem sündigen Wesen, also mit unserer Abwendung von Gott, heraufbeschwören. Trotzdem sollten wir diese biblische Logik nicht voreilig abtun und beiseite legen. Hinter ihr steht nicht ein zorniger Gott, der strafen muss und Jesus als Blitzableiter braucht, damit der Zorn uns nicht trifft. Sondern hinter ihr steht der liebende Gott, der so die Macht des Bösen brechen und uns davon befreien will, damit wir neu leben können.
Ihr Pfarrer