Der heute im Bereich des Umweltschutzes viel gebrauchte Begriff 'Nachhaltigkeit' bildete sich in der Forstwirtschaft des 17. Jahrhunderts und geht auf das längst verschwundene Wort „der Nachhalt“ zurück. Es sollen Materialien, Bodenschätze, lebensnotwendige Dinge für Zeiten des Mangels, für zukünftige Generationen verantwortungsvoll gepflegt und vorgehalten werden.
Ein bemerkenswertes Beispiel von Nachhaltigkeit finden wir auch in unserer Gemeinde, im Turm der St. Egidienkirche, ganz oben in der Glockenstube: Das „Gschaader Glöggla“. Um den Sachverhalt zu verstehen, muss man in Gedanken bis in das Jahr 1695 zurückgehen. Damals waren zum Kirchweihfest am 2. September zwei neue Glocken auf den Turm gezogen worden. Sie verrichteten mehr als ein Jahrhundert ihren Dienst und an der Kirchweih 1795 erinnerte sich die Gemeinde dankbar an deren hundertsten „Geburtstag“. 1822 allerdings zersprang die kleinere von ihnen und so musste an die Anschaffung einer neuen gedacht werden. Bei dieser Gelegenheit entstand aber in der Gemeinde der Wunsch, das bisherige zweistimmige Geläut auf drei Glocken zu erweitern. Pfarrer Karl Wilhelm Bauer gab zu bedenken: „Leider ist das Kirchenvermögen bekanntlich in so traurigen Umständen“. Zudem bedurfte zeitgleich auch die Orgel einer Erneuerung. Diese beiden Projekte konnten nur durch ein hohes Spendenaufkommen bewältigt werden, das selbst im Amtsblatt der Regierung des Rezatkreises (heute Mittelfranken) in Ansbach besondere Anerkennung fand. Unter dem Betreff „Wohlthätige Handlungen der Kirchen=Gemeinde Beerbach“ wird die Spendensammlung „Im Namen seiner Majestät des Königs“ detailliert geschildert und am Schluss heißt es: „Diese schönen Handlungen, in welchen sich ein reger Sinn für die Beförderung öffentlicher Gottes-Verehrung ausspricht, werden hiermit zur dankbaren Anerkennung und als ermunterndes Beispiel für andere bekannt gemacht“.
Um die Glockenbeschaffung finanzieren zu können, wurde die zersprungene Glocke eingeschmolzen und das Bronzematerial zum Guss einer neuen mittleren Glocke verwendet. Das war in der Tat ein Beispiel von Nachhaltigkeit, wenn das auch damals wohl niemandem bewusst war und man sich allein vom Gedanken der Sparsamkeit leiten ließ.
Den Zuschlag für diese Arbeiten erhielt der Nürnberger Glockengießer Johann Christoph Schneider, denn er hatte das billigste Angebot abgegeben. Es gelang ihm ein klanglich und gestalterisch beachtliches Werk mit reichem Zierfries und einer Darstellung des Reformators Martin Luther. Eine Untersuchung der Evangelisch-Theologischen Fakultät München aus dem Jahr 2003 bezeichnete ein Lutherbild auf einer Glocke als eine absolute Rarität.
Ebenfalls auf dem Glockenmantel brachte Schneider das Welsersche Lilienwappen an als Symbol für die damalige Beerbacher Patronats- und Kleingeschaidter Gemeindeherrschaft. Darüber setzte er die Namen von vier Stiftern, die mit den „edlen“ Beiträgen von jeweils 25 Gulden den Neuguss ermöglicht hatten. Pfarrer Bauer hatte die gewünschte Glockenaufschrift und die vier Spendernamen korrekt zu Papier gebracht, das Dokument ist noch heute in den Akten des Pfarrarchivs erhalten. Glockengießer Schneider jedoch unterliefen bei der Umsetzung bedauerliche Fehler, die noch heute für alle Zeiten in Bronze gegossen zu sehen sind. Während sich die ersten beiden Namen korrekt auf den Schlossbauern Johann Friedrich Walter und seinen Sohn Johann Conrad beziehen, folgt als dritter ein C. Ziegler, der laut Vorgabe des Pfarrers in Wirklichkeit ein Georg Ziegler war. Das zweite 'E' ist zudem misslungen, denn es fehlt der obere Querstrich. Damals lebten in Kleingeschaidt zwei Träger dieses Namens, die als Stifter in Frage kommen: Der Gastwirt Georg Ziegler und der gleichnamige Inhaber des Böhmergutes. Der vierte Name Conrad Lehner ist dann wieder richtig dargestellt, doch er lebte nicht in Kleingeschaidt, sondern er war der Besitzer des Stieglerguts in Tauchersreuth! So hatte es der Pfarrer auch aufgeschrieben, doch Schneider verewigte ihn als Kleingeschaidter Einwohner! Somit ist die „Kleingeschaidter Glocke“ ganz korrekt betrachtet eigentlich eine „Kleingeschaidt-Tauchersreuther Glocke“.
Man fragt sich nun, warum diese fehlerhafte Beschriftung nicht beanstandet oder vielleicht gar nicht bemerkt wurde? Dazu lässt sich nur sagen, dass am Weihetag der beiden neuen Glocken am Kirchweihtag 1824 nur die neue dritte und kleinste Glocke aufgezogen werden konnte, da bei der mittleren der Guss zweimal misslungen war. Erst im Oktober 1824 konnte sie durch den Schlossbauern Walter mit einem Pferdegespann in Nürnberg abgeholt werden.
Da sie „im Geiste bereits mit der ersten geweiht“ worden war, erfolgte ihr Aufzug in aller Stille (oder wollte man ihre Fehlerhaftigkeit gar vertuschen?). Jedenfalls erklang am 19. Sonntag nach Trinitatis 1824 erstmals ein dreistimmiges Geläute vom Turm der Egidienkirche „zur großen Freude der Gemeinde“.
Die Kleingeschaidter Glocke überstand als einzige die Enteignungen des Geläuts im Ersten und auch im Zweiten Weltkrieg. Unverdrossen versah sie daher über Jahre allein den Läutedienst, wurde aber bei den Neuanschaffungen der beiden Schwestern von ihrer mittleren Stellung in den Status der kleinsten Glocke herabgestuft. 2017 wurde ein Ausbruch im Kronenstock festgestellt und so musste sie verstummen. Wie schön, dass man sie nicht entsorgt, sondern 2019 durch fachgerechtes Schweißen wieder dienstbereit gemacht hat! Eigentlich war das zum zweiten Mal in ihrer Lebensgeschichte ein Zeugnis von Nachhaltigkeit, obwohl diesmal der Aspekt des Denkmalschutzes die entscheidende Rolle spielte. Doch im weiteren Sinn steht ja auch Denkmalpflege für nachhaltiges Handeln.
Bleibt noch, die Hauptinschrift auf dem Glockenmantel zu würdigen:
GOTT GEBE, DASS MEIN SCHALL NOCH NACH JAHRHUNDERTEN
EINER GLÜCKLICHEN GEMEINDE ERTÖNE.
Glockengießer Schneider hat zwar diesen frommen Wunsch in der Ausführung auch etwas verunstaltet, aber mit diesem Motto wurden jeder Neujahrstag und die Jahrhunderte eingeläutet. Nun allerdings ist die Kleingeschaidter Glocke nicht mehr am Neujahrsläuten beteiligt, denn ihre bewegte und eigenartige Geschichte legt ihr Schonung auf. Dafür hat sie das Ehrenrecht erhalten, bei jedem Gottesdienst zum wichtigste Gebet der Christenheit zu rufen, dem Vaterunser.
Ewald Glückert, Archivpfleger